In Berlin explodieren die Mieten, in München sind sie schon jetzt für Teile der Bevölkerung unbezahlbar: Deutschlandweit wird über die Wohnfrage diskutiert, und dabei rückt ein entscheidender Faktor immer mehr in den Fokus: der Bodenwert. Denn dessen Preissteigerung wirkt sich nicht nur auf den Mietmarkt, sondern viel grundsätzlicher auf das Wohnen, den (Wohnungs-)Bau und damit auch auf die Architektur aus. Wer sich heute über hässliche Neubauten in den deutschen Großstädten beklagt, muss sich auch vergegenwärtigen, was die heutigen Bodenpreise überhaupt noch an Gestaltungsspielraum lassen.
Die Fakultät für Architektur der Technischen Universität München widmet eine aktuelle Vortragsreihe dem Thema „Bodennutzung“ und stellt zur Debatte, wie Lösungen für eine künftige Bodenordnung aussehen könnten. Wir haben mit Christian Bodensteiner vom Lehrstuhl für Baukonstruktion und Baustoffkunde gesprochen, dem Initiator der Reihe.
WfA: Derzeit wird viel über das Thema Bodennutzung und über die explodierten Bodenpreise diskutiert. Sie schreiben in der Ankündigung Ihrer Vortragsreihe, dass „die Konsequenzen des gegenwärtigen Modells der Bodennutzung nicht dem öffentlichen Interesse folgen und als Fehlentwicklungen identifiziert werden können.“ Wenn Sie das Thema für Laien in aller Kürze erklären sollen: Wie wird die Bodennutzung derzeit gehandhabt?
Christian Bodensteiner: Wir handeln mit der lebensnotwendigen, nicht vermehrbaren, und unendlich lang nutzbaren Ressource Boden nach denselben marktwirtschaftlichen Grundsätzen wie es für vergängliche, in beliebigen Mengen nachproduzierbare Güter üblich und sinnvoll ist. Der Mechanismus von Angebot und Nachfrage sollte selbstregulierend wirken, führt aber hier zu einer Schieflage, die einer effizienten und verteilungsgerechten Bodennutzung widerspricht. Wer heute auf die Welt kommt, findet die Grundstücke weitestgehend verteilt vor. Wir kennen das nicht anders, aber wenn wir uns das für Luft oder Wasser vorstellen, wird die Tragweite dessen schnell klar.
Welche konkreten Folgen hat dieser Mechanismus?
Zu den gravierendsten Folgen gehört die Bodenpreisentwicklung um das bis zu Dreifache innerhalb der letzten zehn Jahre und die zunehmende Zersiedelung und Zerschneidung der Landschaft. Es ist schon alarmierend, wenn die Siedlungs – und Verkehrsfläche innerhalb der letzten knapp 25 Jahre ohne Bevölkerungswachstum um mehr als 20 Prozent zugenommen hat. Es fehlt aber auch an einer Handhabe, Bodenspekulation zu verhindern. Sogenannte Landbanker treiben die Preise durch stetigen Weiterverkauf in die Höhe oder warten einfach auf steigende Preise und verhindern so die Bebauung. Das Gebäude, das auf dem leerstehenden, innerstädtischen Grundstück nicht entstehen kann, finden wir auf der grünen Wiese am Stadtrand wieder. Dort zieht es zusätzliche Infrastruktur und Weglängen nach sich und erzeugt damit unnötige Kosten, die von der Allgemeinheit zu tragen sind.
Wie sähen Lösungsansätze aus, die dem entgegen wirken würden?
Alle erfolgversprechenden Lösungsansätze für eine sozial gerechte und effiziente Bodennutzung belegen die Nutzung mit laufenden Kosten. Gleichzeitig könnte der Faktor Arbeit steuerlich deutlich entlastet werden, was wiederum eine ressourcenschonendere Wirtschaftsweise mit sich bringt. Das alles erfordert allerdings ein fundamentales Umdenken in der Gesellschaft.
Niklas Maak hat in der FAZ kürzlich geschrieben, die Architekturwelt habe seit langem keine „grundsätzlichere Debatte“ als über die „Bodenfrage“ geführt. Warum kommt diese Debatte erst so spät, wenn die Problematik doch schon seit längerem bekannt ist?
Vor der Wiedervereinigung wurden alternative Ansätze unweigerlich in die sozialistische Ecke gedrängt und danach hieß es: Du hast ja gesehen, wohin das führt. Erst nach dem extremen Anstieg der Bodenpreise innerhalb der letzten zehn Jahre erhielt das Thema neue Beachtung. Bekannt ist die Problematik allerdings schon sehr lange und Lösungsansätze gibt es spätestens seit Henry George 1879 sein Buch Fortschritt und Armut veröffentlichte. Aber Themen, die den Status Quo so grundlegend in Frage stellen, werden erst dann in der Breite diskutiert, wenn man nicht mehr daran vorbei kommt. Das könnte beim Boden jetzt der Fall sein.
Ihre Veranstaltungsreihe tangiert vor allem politische Fragen. Inwiefern betrifft das die Architektur? Sollten sich die Architekten selbst mehr in solche politische Debatten einmischen?
Unbedingt! Wirtschaftliche und juristische Fragen dominieren immer mehr unsere Welt. Gerade in Fragen der Stadtplanung und der Architektur geraten Aspekte jenseits der Messbarkeit in Quadratmetern oder in Euro immer mehr ins Hintertreffen. Das Ergebnis führt nicht selten zu Stadträumen, bei denen vermeintlich alles richtig gemacht wurde, aber leider will man dort nicht wirklich wohnen. Architekten sind dank ihrer breit gefächerten Ausbildung und ihrer Tätigkeit, Räume für alle Aspekte des täglichen Lebens zu gestalten, dazu prädestiniert sich bei der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen einzubringen. Dieses Feld müssen sie sich allerdings erst wieder zurückerobern.
Können Sie das an einem Bespiel erklären?
Nehmen wir das Thema Urbanität: Sie kann nicht entstehen, wo nach aktuellem Baurecht Nutzungen schön separiert nebeneinander angeordnet werden müssen. Am Lehrstuhl untersuchen wir mit den Studierenden im Rahmen einer Übung parallel zur Veranstaltungsreihe, wie eine horizontale Nutzungsmischung der Bodenverschwendung in Gewerbegebieten Einhalt gebieten, Verkehr reduzieren und gleichzeitig die innerstädtische Bebauungsdichte erhöhen kann.
Gero Suhner (TUM) wird in Ihrer Veranstaltungsreihe einen Vortrag über den Bodenwert und das „Versagen neoliberaler Stadtplanung“ halten. Was darf man sich darunter vorstellen? Welche Faktoren haben zu dieser neoliberalen Stadtplanung geführt?
Gero Suhners Vortrag möchte ich nicht vorgreifen. Nur so viel: Der regelrechte Ausverkauf der Privatisierungspolitik der letzten 20 Jahren ging exakt in die verkehrte Richtung. Leere Kassen haben dazu geführt, dass Kommunen ihre Planungsabteilungen verschlankt haben und den Kräften des Marktes wenig entgegen zu setzen haben. Eine Bodenreform muss hier ansetzen.
In München wird derzeit über die mangelnde architektonische Qualität von Neubauten gestritten. Welchen Einfluss hat die vorherrschende Bodenordnung auf die architektonische Qualität von Neubauten?
Jede gebaute Umwelt ist das Abbild der Gesellschaft, die sie hervorbringt. Das heutige Baugeschehen wird von Kräften dominiert, für die das Bauen und Bewirtschaften von Immobilien ein Geschäftsmodell, das Spekulieren auf Bodenwertsteigerungen eine weit verbreitete Anlagestrategie ist. Da gilt die Maxime, aus dem „Objekt“ den maximalen Gewinn zu erwirtschaften. Den einzelnen Akteuren kann man daraus keinen Vorwurf machen, so funktioniert eben das System. Wir können aber das System verbessern und uns fragen: Wollen wir in Vierteln leben, die davon geprägt sind, was sich für den Investor am besten rechnet, oder wollen wir mehr? Ein Weg wäre die Stärkung von Baugruppen und von Konzeptvergaben, eine kleinteilige durchmischte Parzellierung und eben die Bodenwertsteuer. Wenn die Gewinnmaximierung der alles bestimmende Faktor ist, wird uns das Ergebnis nicht gefallen.
In der Diskussion um den Bodenwert wird Österreich oft als vorbildliches Beispiel angeführt. Was ist dort bodenpolitisch anders oder besser gemacht worden? Verkürzt gefragt: Ist Wien das bessere München?
Es gibt einige Städte, die auf die jüngsten Entwicklungen der Bodenpreise besser vorbereitet waren als München. Wien durch den sehr hohen Anteil an städtischem Wohnungsbau, Ulm durch eine Jahrzehnte lange Politik der städtischen Bodenvorratspolitik, Amsterdam durch die Tradition des Erbbaurechts. München hat durch die SoBon, die „sozialgerechte Bodennutzung“ deutschlandweit eine Vorreiterrolle übernommen, aber die erfasst lediglich die größeren Neubaugebiete und schöpft hier einen Teil der Wertsteigerungen vom Ackerland zum Bauland ab. Man muss sich aber fragen, wem die Bodenwertsteigerungen in der gesamten Stadt zustehen – all die Wertsteigerungen im Bestand, die auf öffentliche Investitionen wie Schulen oder den U–Bahnbau und auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zurückgehen. Hier sprechen wir über Dimensionen, neben denen die SoBon geradezu zu vernachlässigen ist. Den Kommunen fehlt dieses Geld um planen und gestalten zu können.
Wie stehen Sie zu diesen Forderungen? Würden Sie ihr zustimmen?
Grundsätzlich ja, jedenfalls solange es noch keine Bodenwertsteuer gibt. Denn das Erbbaurecht steht ja als wirkungsvolles Instrument bereits zur Verfügung. Die Bodenwertsteuer unterscheidet sich in der Wirkung wenig vom Erbbaurecht, allerdings ist sie viel umfassender. In meiner Vorstellung erfasst sie sämtliche Bodennutzungen: landwirtschaftliche Flächen und Straßen ebenso wie Bauland, öffentlichen und privaten Bodenbesitz. Das ist wichtig, um überall zu einem sorgsamen Umgang mit dem Boden zu kommen. Sobald es einen Konsens für eine solche Bodenwertsteuer gibt, ist zu diskutieren, welche Nutzung welchen Gegenwert hat, also mit welchen Kosten bepreist wird. Durch unterschiedliche Bewertungen könnten alle Formen der Bodennutzung ihren Platz bekommen und sich frei entwickeln.
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