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Bedarf es wirklich keiner Bodenrechtsreform? Eine verdrängte Herausforderung

Ein Gastbeitrag von Hans-Jochen Vogel

Aufgabe jeder verantwortungsvollen Politik ist es, den Menschen, mit denen man in einem Gemeinwesen verbunden ist, ein erträgliches Leben zu ermöglichen und darüber hinaus ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Für die Beurteilung der Frage, ob dies gelingt, gilt die Wertordnung, auf die man sich verständigt hat. Eine solche Politik muss Gefahren rechtzeitig erkennen und sich bemühen, sie zu überwinden. Zugleich muss sie positive Entwicklungsmöglichkeiten erforschen und in die Tat umsetzen.

A.

Dementsprechend setzen wir uns gegenwärtig lebhaft mit aktuellen Herausforderungen auseinander. So etwa dem Klimawandel, dem Ausstieg aus der Kernenergie und den fossilen Energien, der Dieselaffäre, der durch zerfallende Staaten und dem Missbrauch religiöser Sätze verursachten Zunahme der Gewalt und der dadurch und eine wachsende soziale Kluft ausgelösten Flüchtlingsströme. Oder mit nationalen Abschottungen, die wieder mit dem Begriff „völkisch“ arbeiten und mit einem Populismus, der mehr auf Emotionen als auf Fakten setzt. Da sehe ich Gefahren für die europäische Einheit und sogar für unsere Demokratie, die die jüngeren Generationen über lange Zeit hin für selbstverständlich und deshalb keines besonderen Engagements bedürftig gehalten haben. Alle diese Themen stehen auf unserer politischen Tagesordnung. Und bei allen Irrtümern und Säumnissen, an denen es durchaus nicht mangelt, gab und gibt es hier auch Fortschritte im Sinne einer Politik, die der Menschheit in der eingangs beschriebenen Weise dient.

Eine Herausforderung allerdings – und sie gibt mir den Anlass für diese Äußerung – ist von der politischen Tagesordnung seit langem verschwunden, nämlich der seit Jahrzehnten andauernde Anstieg der Baulandpreise, der sich gerade in den letzten Jahren noch verstärkt hat. Er ist auch eine wesentliche Ursache dafür, dass sich die Mieten ebenso kontinuierlich erhöht haben. Dem versucht die Politik mit einer sogenannten Mietpreisbremse entgegenzuwirken, die allerdings wenig erfolgreich war. Deshalb spielte dieses Thema auch im jüngsten Bundestagswahlkampf eine Rolle. Aber über die wesentliche Veranlasserin dieser Entwicklung, nämlich die Baulandpreissteigerung, wurde nicht gesprochen. Sie wird offenbar als unabänderlich hingenommen.

Manche werden meinen, diese Herausforderung bliebe an Gewicht und Bedeutung hinter den von mir soeben genannten Herausforderungen zurück und sei deshalb nicht vergleichbar. Dem widerspreche ich. Denn Grund und Boden ist keine beliebige, je nach Bedarf produzierbare oder auch verzichtbare Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und unverzichtbar. Jeder braucht ihn in jedem Augenblick seines Lebens wie das Wasser oder die Luft.

Das ist keine neuere Erkenntnis. Denn schon im Jahre 1967 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. Januar 1967 (BVerfGE 21, 73/86) ausgeführt:

„Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.“

Und weiter:

„Das Gebot sozial gerechter Nutzung ist aber nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber, bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl der Aligemeinheit zu beachten. Es liegt hierin die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat.“

Wie ich noch dartun werde, gab es vor fünfzig Jahren einen ernsthaften Versuch, diesen Regeln durch eine Reform des Bodenrechtes Geltung zu verschaffen und dadurch auch der Ausweitung der sozialen Kluft in unserem Land einen Riegel vorzuschieben. Doch er ist gescheitert. Seitdem schweigt die Politik. Dafür habe ich keine einleuchtende Erklärung. Aber ich halte es für meine Pflicht, darauf aufmerksam zu machen. Und an Fakten zu erinnern, die jedermann zugänglich sind. Übrigens hat dieses Thema nicht nur nationale Bedeutung. Denn die Bodeneigentumsverhältnisse und die Bodenpreisentwicklung spielen auch global – so etwa in Afrika und in Südamerika – eine relevante und zwar negative Rolle.

B.

Wie haben sich nun die Baulandpreise seit Ende des Zweiten Weltkriegs konkret entwickelt? Die Beantwortung dieser Frage gliedere ich in mehrere Abschnitte. Zunächst beschreibe ich die Steigerung in der Zeit von 1962 bis 1975. Sie löste seinerzeit eine breite Diskussion aus und führte zu konkreten Reformvorschlägen, die ich ausführlicher schildere, weil sie offenbar völlig in Vergessenheit geraten sind (1.). Dann gehe ich der Frage nach, ob der Teil der Reformvorschläge, der 1976 in das Bundesbaugesetz Eingang fand, die Preisentwicklung beeinflusst hat und ob und wie die Diskussion über das Thema fortgesetzt wurde (2.). Daran schließt sich die Erörterung der Phase an, in der es 1993 noch einmal einen Versuch gab, wenigstens Teile der Gewinne für die Allgemeinheit in Anspruch zu nehmen (3.). Der letzte Abschnitt befasst sich dann mit der aktuellen Situation (4.).

Unter Bauland ist im folgenden „baureifes Land“ zu verstehen; also Flächen, die nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften baulich nutzbar sind. Diese sind für die jeweils angegebenen Zeiträume sowohl in der Bundesstatistik als auch in der Münchner Statistik erfasst.

In allen Abschnitten werde ich auch auf die spezielle Münchner Entwicklung eingehen, die ich unmittelbar miterlebt habe. Sie ist zwar schon wegen des kontinuierlichen starken Wachstums der Stadt besonderer Art. Aber die allgemeine Entwicklung ist der in München bislang in einem gewissen Abstand stets gefolgt.


Das sagt die Bayerische Verfassung

Art. 161 (1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Mißbräuche sind abzustellen. (2) Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

Quelle: Verfassung des Freistaats Bayern von 1946

Das sagt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Artikel 14 (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Artikel 15 Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Quelle: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949


1.

In den Jahren von 1962 bis 1975 ist der Baulandpreis in der alten Bundesrepublik um 197 Prozent gestiegen; das heißt ein Quadratmeter Bauland kostete 1962 durchschnittlich 14,89 D-Mark, 1975 hingegen 44,08 D-Mark. Das Jahr 1962 ist hier als Ausgangsjahr gewählt, weil die Bundesstatistik diese Entwicklung erst seit diesem Zeitpunkt bundesweit erfasst hat. Für München sind sie bereits seit 1950 dokumentiert. Die entsprechenden Zahlen lauten deshalb hier für die Zeit von 1950 bis 1975 2.866 Prozent. Das heißt, ein Quadratmeter baureifes Land kostete in München 1950 durchschnittlich rd. 6,00 D-Mark, 1975 hingegen bereits rund 170,00 D-Mark. Der allgemeine Verbraucherpreisindex stieg indes bundesweit von 1962 bis 1975 nur um 65,2 Prozent.

Als Folge der Baulandpreis-Steigerung stiegen auch die Mieten im Zeitraum 1962 bis 1975 um 113,9 Prozent. Für die Stadt München betrug diese Steigerung für den gleichen Zeitraum 233 Prozent. Ebenso wuchsen die Summen, die die öffentlichen Hände für den Erwerb von Grundstücken aufbringen mussten, die sie für den Ausbau der Infrastruktur benötigten. Konkrete Zahlen lassen sich dafür bundesweit im Nachhinein kaum mehr ermitteln. Die Summen dürften aber bundesweit zumindest im oberen dreistelligen Milliardenbereich liegen.

Diese Entwicklung wurde zunächst in München und in einigen anderen Großstädten immer lebhafter diskutiert und beschäftigte ab 1970 auch den Münchner Stadtrat. Dieser setzte auf meinen Vorschlag hin im November 1970 eine Kommission mit dem Auftrag ein, eine Initiative der Stadt für eine Reform des Bodenrechts vorzubereiten. Gestützt auf die von der Kommission erarbeiteten Vorschläge, zu denen als Sachverständiger neben anderen auch der Sozialtheologe Oswald von Nell-Breuning angehört worden war, forderte der Stadtrat im März 1972 vom Bundesgesetzgeber eine Neuordnung des Bodenrechts durch die Ausweitung des gemeindlichen Vorkaufsrechts, die Einführung eines Baugebots, die Abschöpfung der Planungsgewinne und die Einführung einer Bodengewinnsteuer. Für die Abschöpfung der Planungsgewinne wurde insbesondere geltend gemacht, es sei eine grobe Ungerechtigkeit, dass durch Planungsentscheidungen – also beispielsweise durch die Aufhebung oder Einschränkung von Baurechten – verursachte Wertminderungen entschädigt werden müssten, durch entsprechende Baurechtsverleihungen bewirkte Wertsteigerungen aber dem Eigentümer verblieben.

Das Thema wurde inzwischen auch bundesweit intensiv diskutiert. Das war angesichts der oben bereits angegebenen bundesweiten Baulandpreissteigerungen nicht überraschend. Unter anderem äußerten sich im Sinne der Notwendigkeit von Reformmaßnahmen der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Zentralverband des deutschen Handwerks, der DGB, der Deutsche Mieterbund und der Deutsche Juristentag, aber auch die Kirchen. Besonders nachdrücklich forderte der Deutsche Städtetag ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Umsetzung von Vorschlägen, die weitgehend mit denen des Münchner Stadtrats übereinstimmten.

Auf der politischen Ebene engagierte sich vor allem die SPD. Sie bildete 1970 beim Parteivorstand eine Kommission für Bodenrechtsreformen, der ich zunächst als Münchner Oberbürgermeister und dann ab Dezember 1972 als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau angehörte. Die von ihr erarbeiteten Vorschläge nahm der Bundesparteitag in Hannover im April 1973 an. Demgemäß wurden – wiederum in Übereinstimmung mit den Münchner Vorschlägen und denen des Deutschen Städtetags – insbesondere die Einführung

– eines Bau-, eines Modernisierungs- und eines Abbruchgebots,

– eines Planungswertausgleichs und

– einer Bodenwertzuwachssteuer

gefordert und damit Maßnahmen angekündigt, die auch im oben bereits erwähnten Beschluss des Münchner Stadtrats schon genannt worden waren. Der Parteitag ging auf Empfehlung der Kommission jedoch noch einen erheblichen Schritt weiter und entwickelte Grundgedanken für ein Rechtsinstitut, das die Aufspaltung des Bodeneigentums in ein Verfügungs- und ein Nutzungseigentum vorsah. Das Verfügungseigentum, also das Recht, den Nutzer und die Art der Nutzung zu bestimmen, sollte den Kommunen zustehen, das davon getrennte Eigentum an Gebäuden oder anderen Nutzungseinrichtungen deren Besitzern, die darüber auch verfügen konnten. Vergeben sollten die Kommunen das Nutzungseigentum an Private im Wege öffentlicher Ausschreibungen. Realisiert werden sollte die Aufspaltung vor allem in Zonen raschen Wandels, in Kernbereichen mit hoher Investitionsintensität und in den Entwicklungsgebieten von Ballungszonen oder für stadtnahe Erholungsflächen durch Umwidmung des Eigentums an Grundstücken, die sich bereits in der Hand von Kommunen befanden oder durch Übernahme des Verfügungseigentums an Grund und Boden gegen gerechte Entschädigung. Nicht eingesetzt werden sollte das neue Rechtsinstitut bei eigengenutzten Eigenheimen und Eigentumswohnungen und bei landwirtschaftlich genutzten und in dieser Nutzung verbleibenden Flächen. Aus diesen Grundgedanken sollte die Kommission ein abschließendes Konzept entwickeln und dieses dem nächsten Parteitag vorlegen. Auch die anderen Parteien beschäftigten sich mit diesem Thema. So die CSU auf ihrem Parteitag im September 1973. Den Vorschlägen einer zu diesem Zweck gebildeten Kornmission folgend sprach sich dieser Parteitag unter anderem für einen Planungswertausgleich, für Bau-, Modernisierungs- und Abbruchgebote und für die Einkommensbesteuerung von Gewinnen aus Grundstücksver.u.erungen aus. Das stimmte in einer erstaunlichen Weise mit den bereits erwähnten Beschlüssen überein, die der SPD-Parteitag ein halbes Jahr vorher gefasst hatte.

Auch die CDU verabschiedete auf ihrem Parteitag vom Oktober 1973 entsprechende Beschlüsse, lehnte dort aber einen Planungswertausgleich, den der Vorstand noch befürwortet hatte, mit Mehrheit ab. Das Konzept eines geteilten Verfügungs- und Nutzungseigentums kritisierten beide Parteien scharf. Hier handele es sich um die Auflösung der bestehenden Eigentumsordnung und eine „nackte Sozialisierung“, hieß es in entsprechenden Kommentaren. Schon vorher hatte die FDP in ihren Freiburger Thesen vom Oktober 1971 dem Bodeneigentum einen eigenen Abschnitt gewidmet. Darin wird die Besteuerung von Verkaufsgewinnen und bei baureifen Grundstücken auch die des jährlichen Wertzuwachses gefordert. Weitere konkrete Vorschläge fehlten jedoch. Das war die faktische und die politische Situation, in der ich nach Übernahme des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau im Dezember 1972 eine Novelle zum Bundesbaugesetz auszuarbeiten und in den Gesetzgebungsprozess einzubringen hatte. Der entsprechende Referentenentwurf lag im Frühjahr 1974 kurz vor meinem Übergang in das Bundesjustizministerium vor. Er enthielt die auch von der Opposition befürworteten Erweiterungen des Vorkaufsrechts und die von ihr ebenfalls unterstützten neuen Bau-, Nutzungs-, Abbruchs- und Erhaltungsgebote und außerdem eine Planungsgewinnabgabe in voller Höhe. Die FDP als Koalitionspartner war aber nur bereit, einer Abgabe in Höhe von 50 Prozent der durch die Planungsentscheidung herbeigeführten Wertsteigerung zuzustimmen.

Der von der Bundesregierung im August 1974 auf den Weg gebrachte Gesetzentwurf enthielt deshalb lediglich eine Abgabe in dieser Höhe. Im Verlauf zäher Beratungen – sie nahmen fast zwei Jahre in Anspruch – brachte die Opposition die Planungsgewinnabgabe aber mit Hilfe des Bundesrats gänzlich zu Fall. Sie war deshalb in dem im August 1976 verkündeten Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes nicht mehr enthalten.

Die zur Zurückdrängung der privaten Gewinninteressen zugunsten des Gemeinwohls insbesondere von der SPD, aber auch von den anderen Parteien vorgeschlagenen Änderungen von Steuergesetzen und des Bewertungsrechts lagen in der Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums. Sie stießen dort aber auf wenig Gegenliebe. Sie würden zu einer weiteren Steigerung des Bodenpreises führen, verlautete man dort. Deshalb kam es auch zu keiner Gesetzesinitiative.

Die Novelle zum Bundesbaugesetz hat die Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden durch die ihnen neu eingeräumten Befugnisse im Bau- und Planungsbereich verstärkt. Die weitere Preisentwicklung hat sie jedoch nicht beeinflusst. Denn die Baulandpreise stiegen weiterhin deutlich stärker als der Preisindex. Nämlich von 1976 bis 1992 im alten Bundesgebiet um 135 Prozent, der Preisindex hingegen nur um 62,9 Prozent. München lag dabei mit einer Baulandpreissteigerung von 406 Prozent wieder weit vorne. Meine eigene Partei hat sich zwar auf ihrem Mannheimer Parteitag 1975 mit der Vorlage beschäftigt, die die vom vorhergehenden Parteitag eingesetzte Kommission auftragsgemäß erarbeitet hatte und die sich erneut für das Modell „Verfügungs- und Nutzungseigentum“ aussprach, daneben aber auch ein erweitertes städtebauliches Erbbaurecht als mögliche Lösung bezeichnete. Der Parteitag begnügte sich indes mit einem Beschluss, in dem es hieß, ob das Ziel durch eine Aufspaltung in ein Verfügungs- und Nutzungseigenturn oder durch die Schaffung eines neuen, ausgeweiteten und flexibleren Erbbaurechts besser erreicht werde, sei eine Frage der Praktikabilität und der politischen Durchsetzbarkeit. Der Hamburger Parteitag 1977 sprach sich dann für ein städtebauliches Erbbaurecht aus. Auch im Berliner Grundsatzprogramm von 1989 wurde dem Thema noch ein eigener Abschnitt gewidmet. In diesem wird unter anderem die bisher nicht realisierte Forderung nach einem Planungswertausgleich und einer Bodenwertzuwachssteuer wiederholt, die nach Einführung eines neuen Rechtsinstituts, das zwischen Verfügungs- und Nutzungseigentum unterscheidet, aber dahin abgeschwächt, dass dem Erbbaurecht bei Grundstücksverfügungen Vorrang eingeräumt werden soll. Aber gefruchtet hat das nichts.

Die anderen Parteien schwiegen ohnehin und kamen zu keiner Zeit mehr auf ihre reformorientierten Beschlüsse aus den frühen siebziger Jahren zurück. Auch wir haben übrigens im Hamburger Programm von 2007 – abgesehen von dem einen Satz „Wohnraum darf nicht zum Spekulationsobjekt werden“ – dazu nichts mehr gesagt.


Schreiben des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sigmar Gabriel, an Dr. Hans-Jochen Vogel vom 16. April 2010 (Auszug)

(…) Deine kritische Haltung gegenüber leistungslosem Wertzuwachs von Grund und Boden teile ich. Die entscheidende Frage ist, wie wir dafür Sorge tragen können, dass solche unverdienten Zuwächse an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung unserer dringend notwendigen öffentlichen Aufgaben leisten.

Eine bereits bestehende Möglichkeit ist die im Rahmen des BauGB festgeschriebene Pflicht des Eigentümers in Sanierungsgebieten, zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen monetären Ausgleichsbetrag zu entrichten, so dass die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks abgeschöpft wird.

Wie Du weißt, hat unser Parteitag in Dresden im November letzten Jahres beschlossen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen. Dies geht nur, wenn eine Gleichbehandlung von Geld- und Immobilienvermögen auf der Bewertungsebene erfolgt. Bodenwertsteigerungen werden bei einer realitätsnahen Bewertung (Verkehrswert) erfasst und können der Besteuerung unterworfen werden.

Nach wie vor steht eine verfassungskonforme Reform der Grundsteuer aus. Bisher wird die Grundsteuer auf Basis der Einheitswerte von 1964 berechnet. In den neuen Ländern sogar auf der Basis von 1935. Trotz Fortschreibung der Werte gibt es starke, auf unterschiedlichen Entwicklungen regionaler Märkte beruhende Verzerrungen, die durch unterschiedliche Basisjahre in West und Ost noch verstärkt werden. Die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt Anlass, die Bemessungsgrundlage so nah wie möglich auf die realen Werte der Grundstücke zu beziehen (s. Bundesverfassungsgericht – Entscheidung vom 7. November 2006 zur Erbschaftsteuer, in der der Gesetzgeber dazu aufgefordert wurde, die Grundstücksbewertung so zu gestalten, dass sie die Werte der Grundstücke „in ihrer Relation realitätsgerecht abbildet“).

Dies wollen wir in unsere Eckpunkte für ein Steuer- und Abgabenkonzept aufnehmen, das auf dem diesjährigen außerordentlichen Parteitag im September diskutiert und beschlossen werden soll. (…)

Sigmar Gabriel


3.

1993 wurde in das Baurecht eine Bestimmung eingefügt, die die Gemeinden zum Abschluss städtebaulicher Verträge ermächtigte, mit deren Hilfe eine „sozial gerechte Bodenordnung“ herbeigeführt werden sollte. Sie konnten Investoren jetzt Verträge anbieten, die ihnen eine gewisse Sicherheit hinsichtlich des Ablaufs der Genehmigungsverfahren und hinsichtlich der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen verschaffte. Als Gegenleistung mussten sich die Investoren als Planungsbegünstigte verpflichten, sich mit mindestens einem Drittel, höchstens aber zwei Drittel ihres Planungsgewinns an den Kosten der von ihnen veranlassten Infrastrukturmaßnahmen zu beteiligen.

Die Stadt München hat von diesen neuen Möglichkeiten inzwischen intensiv Gebrauch gemacht und auf diesem Wege in der Zeit von 1994 bis 2015 einen Teil der Planungsgewinne in Höhe von 628 Mio. Euro abgeschöpft. Das ist zu begrüßen. Das Problem der leistungslosen Gewinne ist damit aber nicht generell gelöst. Denn dem Münchner Beispiel sind bisher bei weitem nicht alle, sondern im wesentlichen nur die Städte gefolgt, die wegen ihres Wachstums Bauinvestoren anziehen. Und zwar Bauinvestoren, die zur teilweisen Abführung ihrer Planungsgewinne deshalb bereit sind, weil sie mit einem künftigen Preisanstieg rechnen, der ihre Leistungen ausgleicht, ja auf Dauer wesentlich übertrifft. Auch geht es immer nur um einen Teil dieser Gewinne. Außerdem hängt das Zustandekommen solcher Verträge in jedem Fall von der freien Entscheidung der Beteiligten ab. Auch auf steuerlichem Gebiet ist weiterhin nichts geschehen. Bei der Grundsteuer beispielsweise müssen die zuständigen Behörden in West-Deutschland noch immer mit Immobilienbewertungen aus dem Jahre 1964 und in Ost-Deutschland sogar aus dem Jahr 1935 arbeiten. Außerdem ist inzwischen unstreitig, dass die Grunderwerbsteuer die Bodenpreise steigert. Dennoch haben einige Bundesländer sie erst kürzlich erhöht oder ihre Erhöhung in Aussicht genommen.

Erörtert wird indes unter Sachverständigen seit einiger Zeit ein Vorschlag zur Einführung einer Steuer auf Werterhöhungen bebaubarer Grundstücke, die in Erwartung weiterer Preissteigerungen nicht verkauft werden und deshalb nicht bebaut werden können. Die Baulandpreise stiegen deshalb weiter deutlich stärker an als der Preisindex, nämlich von 1993 bis 2015 bundesweit um 194 Prozent, der Preisindex hingegen nur um 38,7 Prozent. In München stiegen die Baulandpreise nur um 124 Prozent, also erstaunlicherweise diesmal weniger stark als auf der Bundesebene. Die Grunde dafür vermag ich nicht zu präzisieren. Offenbar hat dabei eine Rolle gespielt, dass Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts in München mehrere große Kasernenareale frei wurden und von der Stadt zu stabileren Preisen übernommen werden konnten. Jedenfalls lag der Anstieg zwischen  2010 und 2015 in München mit 55 Prozent wieder über dem bundesweiten Anstieg in der gleichen Zeit.

4. 

Ich sagte eingangs, dass es sich bei dem Problem der Bodenpreissteigerung um eine Herausforderung handelt, die durchaus in einem Atemzug mit den Herausforderungen genannt werden kann, die uns gegenwärtig beschäftigen. Die folgenden Zahlen, in denen ich die Gesamtentwicklung zusammenfasse, machen das noch einmal deutlich. Es stiegen nämlich von 1962 bis 2015 bundesweit die Baulandpreise um 1.800 Prozent und die Mieten um 495 Prozent, der Preisindex hingegen nur um 302 Prozent.

Für München ergibt sich für die Zeit von 1950 bis 2015 eine Steigerung um – sage und schreibe – 34.283 Prozent. Enorme Auswirkungen hatte diese Entwicklung weiterhin insbesondere auf die Mieten und auch auf den Bau oder Erwerb eines Eigenheims, aber auch auf die Gemeindehaushalte und auf die Vermögensbildung und die Vermögensverteilung insgesamt.

Die Frage, welche Gesamtsumme die leistungslosen Bodengewinne inzwischen erreicht haben und wem sie vor allem zugeflossen sind, wäre eine eigene Untersuchung wert. Meine Vermutung, dass sie sich auf mehrere Billionen Euro beläuft und nicht bei Vermögenslosen, sondern zu einem wesentlichen Teil bei schon Vermögenden angekommen sind, erscheint immerhin nicht abwegig.

Hans-Jochen Vogel (rechts) im Gespräch mit Karl Klühspies und Gerhard Meighörner / Foto: Bernadette Felsch

C.

Wir stehen also noch immer vor der gleichen Situation wie Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, im Gegensatz zu damals gibt es heute aber noch nicht einmal eine öffentliche Diskussion darüber, wie dieser Herausforderung begegnet werden könnte. Ja, es ist im Laufe der Zeit der Eindruck entstanden, dass man damit eben leben müsse. Warum das so ist, vermag ich zwei Jahrzehnte nach meinem Ausscheiden aus der aktiven Politik nicht hinreichend zu beurteilen. Aber ich sträube mich dagegen, dass das Gemeinwohl auf diesem Gebiet vor der Macht des Marktes kapituliert.

Das widerspräche zudem sowohl dem Grundgesetz wie der Bayerischen Verfassung. Sagt doch das Grundgesetz in seinem Art. 14 Abs. 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

In der Bayerischen Verfassung heißt es in dem Art. 158 ebenso:

„Eigentum verpflichtet gegenüber der Gesamtheit.“

Und zu dem hier behandelten Thema heißt es dort in Art. 161 Abs. 2 sogar:

„Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“

Konkreter lässt sich ein Verfassungsauftrag kaum formulieren. Und er verdient Beachtung, obwohl er durch das Grundgesetz formal außer Kraft getreten ist. Jedenfalls die Organe des Freistaats Bayern – so etwa die bayerischen Bundesratsmitglieder – sollten ihn stets vor Augen haben, wenn es um Regelungen auf diesem Gebiet geht. Deshalb fordere ich nicht nur die Politik, sondern alle, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, und auch die Medien auf, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen! Ich tue das nicht im Ton des Vorwurfs, den ich jedenfalls für die Zeit von 1976 bis 1994 ja wohl auch an mich selbst zu richten hätte. Ich tue das aus Sorge davor, dass wir die Dinge weiter treiben lassen und damit die soziale Kluft in unserem Lande noch weiter verbreitern. Ein erster Anfang wäre es schon, wenn der neue Bundestag eine Enquête-Kommission einsetzen würde, die sich mit den Fakten beschäftigt und alle bisher bekannt gewordenen Lösungsansätze und -versuche zusammenstellt. Meine sozialdemokratischen Freundinnen und Freunde sollten sich dabei auch an eine Aufforderung Willy Brandts aus dem Jahre 1974 erinnern. Sie findet sich in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch „Über den Tag hinaus“ und lautet:

„Es wäre gut, wenn unser Parlament über Parteigrenzen hinweg von Zeit zu Zeit die Courage zur einmütigen Feststellung über gemeinsame Erfolge, aber auch über gemeinsame Versäumnisse deutscher Politik fände. So mit Notwendigkeit beim Bodenrecht. Denn es gibt keinen Zweifel, dass hier eine der fundamentalen Reformen zur Erleichterung und Humanisierung unseres Zusammenlebens lange überschrittig ist.“

Dr. Hans-Jochen Vogel war von 1960 bis 1972 Oberbürgermeister von München, von 1972 bis 1974 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, danach Bundesminister der Justiz bis 1981. Im selben Jahr wechselte er ins Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Bei der Bundestagswahl 1983 trat er als Kanzlerkandidat der SPD an. Von 1987 bis 1991 war er Parteivorsitzender der SPD (Nachfolger von Willy Brandt) und von 1983 bis 1991 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion (in der Nachfolge von Herbert Wehner). Als Münchner Oberbürgermeister hat er das „Münchner Forum – Diskussionsforum für Stadtentwicklungsfragen e.V.“ mitgegründet. Hans-Jochen Vogel lebt hochbetagt in München.


Grundsteuer: Zeitgemäß!

Ein bundesweiter Aufruf zur Grundsteuerreform

Ein wirtschaftlicher Umgang mit dem knappen Gut Fläche, die innerörtliche Aktivierung von Flächen für Wohnen und Gewerbe und die Ertüchtigung des Gebäudebestands sind dauerhafte Herausforderungen in und für die Städte und Gemeinden überall in Deutschland. Der Grundsteuer könnte hierbei eine Schlüsselrolle zukommen, wenn sie hilft, diese Herausforderungen zu bewältigen. Für die Kommunen bundesweit wäre eine zeitgemäße, weil investitionsfreundliche, sozial ausgewogene und zukunftsgerichtete Grundsteuer von großer Bedeutung. Wir, die Unterzeichnenden, appellieren daher an den Bund und die Länder, die „reine Bodenwertsteuer“ und die „kombinierte Bodenwert- und Bodenflächensteuer“ in ihre Überlegungen zur Reform der Grundsteuer einzubeziehen. Beide Varianten haben sich sowohl in einer Simulationsanalyse als auch einem kommunalen Praxistest als vorzugswürdig herausgestellt. Eine Entscheidung über die Reform der Grundsteuer darf erst getroffen werden, nachdem auch diese beiden Varianten vertieft untersucht und bewertet sowie mit den anderen zur Diskussion stehenden Varianten verglichen wurden. Wir appellieren außerdem an die kommunalen Spitzenverbände, sich gemeinsam mit uns für eine umfassende Prüfung und Bewertung der zwei erwähnten Varianten einzusetzen.

Hier den Aufruf zur Grundsteuerreform mitzeichnen


Ein Gastbeitrag von Hans-Jochen Vogel aus „Standpunkte 12/2017“ des Münchner Forums e.V.

Beitragsbild:

Bodenpreisgebirge in München im Jahr 2000 – heute sind die Spitzen deutlich höher | Quelle: Der München Atlas. Eine Metropole im Spiegel faszinierender Karten, Hrsg. Günter Heinritz, Claus-C. Wiegand, Dorothea Wiktorin, Köln 2003, Datengrundlage: Bodenrichtwerte 2000 – Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Bereich der LH München, Bearbeiter der Karte: D. Metzler/ H.-M. Zademach (mit Dank an die Bearbeiter).

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