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Interview: «Die Welt des modularen Bauens ist bunt, nicht plattenbaugrau»

Wahlweise Als „Max Schmeling der Betriebswirtschaftslehre“ oder als „Logistik-Papst“ wird er bezeichnet: Prof. Dr. Horst Wildemann. Er leitet aktuell das Forschungsinstitut Unternehmensführung, Logistik und Produktion an der TU München und führt das Beratungsunternehmen TCW mit 60 Mitarbeitern.

Seit einigen Jahren widmet er sich auch dem Thema Wohnungsbau und plädiert für einen radikalen Systemwechsel – hin zu einer modularen Bauweise. So liessen sich 70 Prozent der Baukosten einsparen. Weitere Details im Interview:

Wohnraum für Alle: Sie plädieren für einen industriellen Wohnungsbau, also Wohnungen die am Fließband hergestellt und vor Ort nur noch zusammengesetzt werden müssen. Warum wäre das vorteilhaft?

Prof. Horst Wildemann: Der Schlüssel liegt in der Modularisierung des Produktes, die Module mit genau definierten Anschlussstellen für Decke, Außenwand oder Fenster versieht. Solche Module lassen sich zu unendlich vielen Varianten, also völlig verschiedenen Bauten zusammensetzen. Bereits heute können bei einem Einfamilienhaus mit 8 Modulen und einem Baukasten mit 50 verschiedenen Raummodulen eine Varianz von nahezu 1,7 Milliarden unterschiedlichen individuellen Grundrissen ermöglich werden.

Dazu kommt noch die Individualität in der Fassadengestaltung und der Wärmedämmung auf höchstem Niveau. Auch modernste Technik in Bezug auf Energieeinsparung und Energieerzeugung kann problemlos integriert werden, bis hin zum Energie-plus Haus.

Die Welt des modularen Bauens ist bunt, nicht plattenbaugrau.

Konkreter: Sie glauben, die Baukosten so um zwei Drittel billiger machen zu können, auf weniger als 700 Euro /qm. Wie kann das funktionieren?

Die entscheidenden Einsparungen werden auf der Baustelle erzielt. Im modularen Hausbau findet 80 Prozent der Wertschöpfung in vorgelagerten Prozessschritten in der Fabrik statt. Es gilt das Prinzip: Die richtigen Dinge korrekt tun und dies bereits beim ersten Mal.

Bauprojekte werden so um 74 % schneller abgewickelt.

In der Produktion wird die Beschaffung der Baumaterialien gebündelt und resultiert in weiteren Kosteneinsparungen. Zusätzliches Einsparpotenzial zeigt die vom TCW durchgeführte Kundenanalyse. Für den Kunden ist mehrheitlich die innere Flexibilität des Hauses wichtiger als die Äußere. Dies bedeutet, dass Teile aus dem Außenbereich eher standardisiert werden können als Teile aus dem Innenbereich.

Müssen Mieter in solchen Häusern dann nicht mit Qualitätseinbussen rechnen?

Die Rahmenbedingungen des konventionellen Hausbaus zeigen potenzielle Fehlerquellen auf. Die Koordination der verschiedenen Gewerke an unterschiedlichen Zeitpunkten und Orten erhöht die Komplexität und damit die Fehleranfälligkeit. Im modularen Hausbau hingegen befinden sich alle Gewerke zentral koordiniert unter einem Dach bei kontrollierbaren Produktionsbedingungen. Aufgrund einer höheren Kontrolle und mehr Transparenz kann die Fehlerhäufigkeit reduziert werden.

Es ist ja durchaus auch im Interesse der Baufirmen, möglichst günstig zu bauen. Warum passiert das jetzt noch so wenig?

Die Bauindustrie ist in ihren Strukturen mit regionalen Handwerksbetrieben traditionell und diversifiziert aufgestellt.

Die Industrialisierung, die in anderen Branchen erfolgte, hat in der Baubranche bisher weitestgehend nicht stattgefunden.

Darüber hinaus ist in den Nachkriegsjahren in Deutschland für den Fertighausbau ein negatives Image entstanden, das auf die geringe Qualität im Wesentlichen von Plattenbauten zurückzuführen ist.

Besteht so nicht die Gefahr, dass Bauunternehmen zwar viel günstiger bauen, diese Ersparnis dann aber gar nicht bei den Mietern ankommen?

Diese Gefahr besteht wohl. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieses Szenario eintritt. Der Wettbewerb ist dafür zu hoch und der Markt zu hart umkämpft. Unternehmen können durch reduzierte Kosten die Preise senken, um dadurch eine höhere Auslastung der Maschinen zu erreichen und so in der Gesamtproduktivität davon profitieren.

Mit der modularen Bauweise profitiert letztlich der Kunde.

Das Baukastenprinzip ist leicht nachzuvollziehen und durch den Einsatz eines Produktkonfigurators kann jeder Kunde sein eigenes Haus von Zuhause aus oder mit einem Architekten am PC konfigurieren.

Wo sehen sie auf gesetzlicher/politischer Ebene die größten Hindernisse, die ein günstigeres Bauen – und vor allem auch ein günstigeres Mieten – erschweren?

Problematisch für eine Veränderung im Hausbau sind die unterschiedlichen Bauvorschriften. Jedes Bundesland und teilweise sogar auf Landkreisebene werden eigene Richtlinien und Bestimmungen an den Bauherrn gestellt. Für eine Industrialisierung ist dies die größte Herausforderung, weil dies die Varianz der Produkte erhöht und keine Standardisierung ermöglicht. Die Folge für den Mieter oder Bauherr sind höhere Preise, weil durch die speziellen Vorschriften individuelle Baumaßnahmen notwendig werden.

Und bezogen auf die Stadt München: Wo sehen Sie da die größten Probleme im Wohnungsbau?

Als eine der teuersten Städte in Deutschland hat die Stadt München das Problem, dass sich viele keine Wohnungen bzw. Grundstücke leisten können.

Die Konsequenz sind leerstehende Flächen und Wohnungen. Darüber hinaus wirkt München gegenüber Städten wie Frankfurt, London oder New York ineffizient, da wenig in die Höhe gebaut oder nachverdichtet wird.

Sind nicht gerade die überaus strengen Richtlinien in Bezug auf Klimaschutz und die Wohnqualität große Hindernisse, die die Schaffung von günstigem Wohnraum verhindern? Wo sehen Sie da das richtige Maß?

Die Lebensdauer von Bauwerken kann aufgrund der höheren Qualität verlängert werden. Die Frage, die sich aufgrund der Demografie-Entwicklung stellt, ist wie Häuser den Nutzungsanforderungen flexibel angepasst werden können. Der modulare Hausbau kann hier der Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Wertschöpfung im Bauwesen Rechnung tragen.

Trends zeigen die Notwendigkeit eines generationsübergreifenden Nutzungsmix zwischen Wohnen, Büro und Kleingewerbe. Das modulare Haus weist eine hohe Flexibilität auf, sodass Anpassungen an veränderte Lebensbedingungen, Platzbedürfnisse und Nutzungsanforderungen jederzeit einfach und kostengünstig realisiert werden können.

 

Die Sendung „Geld und Leben“ vom BR hat das Thema in einem sehenswerten Beitrag aufgegriffen:

Und ein Imagevideo von TCW veranschaulicht, wie das aussehen könnte, vom Design des Baus per App bis zum Bau:

 


Beitragsbild: (c) Dimitri Popov via Unsplash

 

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