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100 Jahre Wohnungsbau in Bayern. Und nichts dazu gelernt?

Der heutige Wahnsinn auf dem Wohnungsmarkt ist kein exklusives Problem unserer Zeit, wie eine Ausstellung in der Pinakothek der Moderne zeigt. Gerade was Lösungsansätze anbelangt, zeigt ein Blick in die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus: Vieles ist möglich, wenn der politische Wille da ist.

„Mietpreisbremsung“? Etwas erstaunt bleibt mein Blick an diesem Begriff hängen. Das liegt weniger am Inhalt als an dessen zeitlicher Einordnung: Staatliche Wohnungsbauförderung 1918-1933. „Die Mietenkontrolle regulierte die Deckung von Unterhalts- und Instandsetzungskosten bereits vor Einführung des Reichsmietengesetzes von 1922. Ein verbesserter Mieterschutz führte während der Inflation durch Mietpreisbremsung zu niedrigen Realmieten“, informiert die Schautafel der Ausstellung.

Dass die staatliche Regulierung des Mietpreises als Konzept bereits vor knapp einem Jahrhundert angewandt wurde, erstaunt vielleicht auch, weil die 2015 eingeführte Mietpreisbremse von der Großen Koalition noch immer als geniale Neuerung verkauft wird: „Mit der Mietpreisbremse haben wir erstmals ein Instrument geschaffen, mit dem nicht mehr der Vermieter allein die Höhe des Mietpreises bestimmt“, prahlt Heiko Maas als Noch-Justizminister auf der Informationsseite des Bundes zur Mietpreisbremse.

Deutsches Reichsgesetzblatt von 1922, Abbildung: Wikimedia Commons

100 Jahre sozialer Wohnungsbau in Bayern

Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen!“ widmet sich der Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in Bayern innerhalb letzten 100 Jahre und seiner gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Die Schau gehört zum Jubiläumsprogramm der Bayerischen Staatsregierung anlässlich 100 Jahre Freistaat und 200 Jahre Verfassung, ist als Wanderausstellung angelegt und wird nun erstmals in der Pinakothek der Moderne gezeigt. Auch wenn das übergeordnete Motto das Schlimmste befürchten lässt („Wir feiern Bayern“), ist sie erstaunlich gut konzipiert und modern aufbereitet – im Stil einer Wohnung mit Schubladen, Tür- und Fensterelementen und aufgemalten Einrichtungsgegenständen.

Die von Hilde Strobl vom Architekturmuseum der TU München kuratierte Ausstellung unterteilt die hundertjährige Baugeschichte in sieben historisch gegliederte Zeitfenster. Jede Stellwand verdeutlicht die Besonderheiten der jeweiligen Epoche anhand einzelner architektonischer Beispiele mit Bildmaterial, Plänen und Modellen und den entsprechend Erklärungen zu den politischen Hintergründen und Vorgaben. Zusätzlich sind die Rückseiten der Aufsteller einzelnen Themenaspekte gewidmet, die für die Zeit besonders prägend waren, wie die Bevölkerungsentwicklung und Migrationsbewegungen nach den Weltkriegen, Haushaltstechnik, Baumaterialien oder Verkehrsentwicklung.

1929 wurden in Bayern fast 16.000 neue Sozialwohnungen gebaut

Gartenstadt Buchenbühl in Nürnberg, Jakob Schmeissner und Ludwig Ruff, 1919
© Siedlungswerk Nürnberg

Besonders spannend sind die zusammen getragenen Informationen aus den Zeiten der Weimarer Republik im Hinblick auf die heutige Misere der Mietenexplosion in den deutschen Großstädten. Einerseits könnte man natürlich die aktuelle Wohnraumdebatte als Luxusproblem abtun, liest man die Zahlen aus Bruno Schwans Buch „Die Wohnungsnot und das Wohnungselend in Deutschland“ von 1929: 12 Prozent der Bevölkerung in den bayerischen Großstädten lebten mit mehr als 7 Personen in einer Wohnung. Allerdings wurde die herrschende Wohnungsnot politisch als Problem erkannt und ihr massiv entgegen gesteuert, wie die Zahlen belegen: 1929 wurden in Bayern fast 16.000 neue Sozialwohnungen gebaut. Derzeit sind es nicht einmal mehr 3.000 pro Jahr.

Ein weiteres Konzept wirkt aus heutiger Sicht geradezu revolutionär und kaum mehr vorstellbar: Selbstbausiedlungen für Erwerbslose im Rahmen einer Notverordnung nach dem Ersten Weltkrieg. „Unter fachlicher Anleitung einer Heimstätte als Bauträger errichteten die Siedler in Selbstarbeit gemeinsam kleine, freistehende Einfamilien- oder Reihenhäuser mit Nutzgärten und Stallanbauten zur Kleintierhaltung. Waren sie zunächst als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Erwerbslose gedacht, stellten sie später Wohnung und Selbstversorgung sicher. Durch eine dreijährige Bewährungszeit und die danach erfolgende Umwandlung in eine Erbpacht bei gleichzeitiger Abzahlung des Darlehens wurden die Siedler nachhaltig an Grund und Boden gebunden.“ Angesichts der Immobilienpreise in den Ballungsräumen sind solche Maßnahmen heute natürlich undenkbar. Aber für die von Abwanderung betroffenen ländlichen Regionen, wäre das vielleicht ja sogar eine Überlegung wert. Im Gegensatz zu den 1-Euro-Job-Maßnahmen wäre das jedenfalls ein menschenwürdigerer Ansatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Neuperlach, Juni 1974
Foto: Kurt Otto © Wohnungs- und Siedlungsbau Bayern GmbH & Co. OHG, Bestand Neue Heimat Bayern

„Vorstadtghettos“an der Großstadträndern

Trotz der wenigen Aufsteller verschafft die Ausstellung einen wunderbaren Überblick über die einzelnen Phasen des Wohnungsbaus und ihre jeweiligen Einflussfaktoren. Einzig die soziale Frage, die beim Wohnungsbau immer mitschwingt, scheint leider zu selten durch. Dass der soziale Wohnungsbau der Wirtschaftswunderjahre mit Großsiedlungen wie Neuperlach Nordost in München oder Königswiesen in Regensburg zwar viel billigen Wohnraum schuf, aber dadurch auch „Vorstadtghettos“ entstanden, wird zwar erwähnt, aber auch nicht näher thematisiert. Allein diese Blockbauten an den Großstadträndern verdeutlichen ja bis heute recht eindrucksvoll, wie nachhaltig solche Wohnungsbaukonzepte sind und wie problematisch sie sein können. Die Ausstellung ignoriert dabei in ihrem Rückblick aus der Vogelperspektive vollkommen die gesellschaftlichen Auswirkungen der Architektur und Städteplanung.

Schön wäre es, würde sich die Bayerische Staatsregierung ihre eigene Ausstellung zu Herzen nehmen und sich von früheren Konzepten inspirieren lassen. Leider nur hat sie es bisher nicht einmal zustande gebracht, die Mietpreisbremse ordnungsgemäß umzusetzen. Wegen Formfehlern hatte das Landgericht München im Dezember 2017 die bayerische Verordnung gekippt, weshalb sich der Freistaat selbst nun bald vor Gericht verantworten muss.


In aller Kürze:

Was? Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen! Wohnungsbau in Bayern 1918 | 2018

Wo? Pinakothek der Moderne, Architekturmuseum der TU München

Wann? 15.3. – 21.5.2018

Mehr Infos hier


Beitragsbild: Wohnsiedlung Schuberthof und Lessinghof in Augsburg, Thomas Wechs 1928-1930 © Architekturmuseum Schwaben

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